Kanalinsel Guernsey und die Stadt Biberach besiegeln ihre Freundschaft

Der 80. Liberation Day, mit dem die Kanalinsel Guernsey jährlich am 9. Mai an das Ende der deutschen Besatzung erinnert, ist ein wahrhaft historischer gewesen: In der Hauptstadt St. Peter Port unterzeichneten Regierungsvertreter der Insel und Biberachs Oberbürgermeister Norbert Zeidler eine Freundschafts-Rahmenvereinbarung. Ein bemerkenswerter Schritt, waren doch rund 1.000 Bewohner von Guernsey von 1942 bis zur Befreiung durch die französischen Alliierten am 23. April 1945 im Lager Lindele in Biberach interniert.

Bild vergrößern: Deputy Lyndon Trott (v.l.), OB Norbert Zeidler und Deputy Jonathan Le Tocq unterzeichneten gemeinsam die Freundschaftsvereinbarung Bild: © Hans-Bernd Sick
Deputy Lyndon Trott (v.l.), OB Norbert Zeidler und Deputy Jonathan Le Tocq unterzeichneten gemeinsam die Freundschaftsvereinbarung

  

Für diesen besonderen Anlass, der in die Festlichkeiten zum 80. Jahrestag der Befreiung eingebettet war, folgte eine Delegation aus Biberach der Einladung aus Guernsey. Neben Oberbürgermeister Norbert Zeidler reisten vergangene Woche Vertreter der Gemeinderatsfraktionen, der Stadtverwaltung und des Vereins Städte Partner Biberach sowie das Jugendsinfonieorchester der Bruno-Frey-Musikschule auf die Kanalinsel. Am 9. Mai, als die Feierlichkeiten ihren Höhepunkt erreichten, sah die Reisegruppe aus Biberach nicht nur eine Militärparade an der Strandpromenade, sondern erlebte auch Prinzessin Anne aus nächster Nähe. Als Vertreterin des britischen Königshauses – Guernsey ist als Kronbesitz direkt der britischen Krone unterstellt – verlas die Schwester von King Charles III. eine Grußbotschaft des Königs, in der auch Biberach und die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit Guernsey erfolgte Versöhnung explizit erwähnt wurden. Die Prinzessin nahm sich auch Zeit für ein kurzes Treffen mit Teilen der Biberacher Delegation, was wiederum den Fernsehsender BBC 1 Guernsey interessierte, der einige Gäste aus Oberschwaben interviewte.

Das Musikschulorchester unter der Leitung von Andreas Winter und Chiara Tauber nahm am selben Tag an einer weiteren großen Parade mit etwa 30 Festwagen teil, auch hier säumten Tausende Zuschauer die Umzugsstrecke. Die offiziellen Vertreter von Biberach und Guernsey widmeten sich derweil der Unterzeichnung der Freundschaftsrahmenvereinbarung. Norbert Zeidler, der seine Rede auf Englisch hielt, sprach von einem „denkwürdigen Anlass und einer großen Ehre“, als Oberbürgermeister von Biberach auf Guernsey sprechen zu dürfen. 80 Jahre seien vergangen, seitdem Guernsey, die Kanalinseln und das Lager Lindele in Biberach befreit worden seien. „Vermutlich haben Sie hier auf Guernsey in dieser dunklen Zeit das erst Mal den Namen einer kleinen süddeutschen Stadt namens ‚Biberach‘ vernommen. Ich nehme an, dieser Name und auch die Namen anderer deutschen Städte waren nicht mit freundlichen Gefühlen verbunden.“

Bild vergrößern: Im Rahmen der Feierlichkeiten am 9. Mai begrüßte Prinzessin Anne - hier mit Bailiff Sir Richard McMahon - die Biberacher Delegation Bild: © Chris George
Im Rahmen der Feierlichkeiten am 9. Mai begrüßte Prinzessin Anne - hier mit Bailiff Sir Richard McMahon - die Biberacher Delegation

Aus Feinden werden Freunde

Bereits in den Jahren der Internierung wurden Freundschaften zwischen der Biberacher Bevölkerung und den Internierten geschlossen. Diese frühen Bande bildeten den Grundstein für offizielle und intensivere Begegnungen ab 1997 zwischen Guernsey und Biberach. „Die Freundschaftsvereinbarung besiegelt, dass Sie, das Volk von Guernsey, uns, die Nachkommen der Besatzer, den ehemaligen Feind, als Freunde annehmen.“ Dies, verdeutlichte Zeidler, sei in der Tat außergewöhnlich. Zugleich sei es eine große Ehre, „dass Sie mich, den Oberbürgermeister jener Stadt, in der so viele von Ihnen interniert waren, zusammen mit einer großen Gruppe von Biberacher Bürgern zu den Festlichkeiten rund um die Vereinbarung und den Liberation Day eingeladen haben.

Bild vergrößern: Nellie Le Feuvre (Mitte) - hier im Gespräch mit Prinzessin Anne - wurde mit 15 Jahren nach Biberach deportiert. Bild: © Chris George
Nellie Le Feuvre (Mitte) - hier im Gespräch mit Prinzessin Anne - wurde mit 15 Jahren nach Biberach deportiert.

Das ist eine bewegende Geste.“ Der Liberation Day sei ein Tag, an dem die Freiheit gefeiert werde. Zeidler mahnte, man dürfe die Vergangenheit nicht verdrängen, sondern müsse sich ihr kritisch stellen. „Jene, die diesen Tag noch mit eigenen Augen erlebt haben, haben sicherlich ganz eigene Gedanken und Erinnerungen, die mit diesem Tag verbunden sind.“ Es sei daher unerlässlich, sich stets dessen bewusst zu sein, dass Freiheit die größte Gabe ist. Sie müsse mit allen verfügbaren Mitteln bewahrt werden. Ebenso unerlässlich sei es, die Freundschaft zwischen Guernsey und Biberach zu schützen, so Zeidler. „Wir haben unsere Freundschaft besiegelt. Dies ist ein Geschenk, daher wage ich zu sagen und zu wünschen: Möge das Siegel der Freundschaft die Verbindung zwischen uns weiter festigen. Möge es dazu dienen, die Freundschaft zwischen unseren Ländern zu hegen und zu pflegen.“

Deputy Lyndon Trott, Chiefminister der Guernsey-Regierung, betonte: Was mit Leiden begonnen habe, sei im Laufe der Jahrzehnte ein starkes Symbol der Versöhnung geworden. „Aus diesen schwierigen Anfängen ist etwas Außergewöhnliches entstanden – eine dauerhafte Freundschaft.“ Durch verschiedene Begegnungen sei diese Freundschaft seit 1997 weiter zum Erblühen gebracht worden. „Heute machen wir den nächsten Schritt in der Stärkung dieser Beziehungen mit der Freundschafts-Rahmenvereinbarung“, sagte Trott.

"Noch nie so willkommen gefühlt"

Die Vereinbarung schaffe neue Möglichkeiten für einen vertieften Austausch in den Bereichen Bildung und Kultur. „In einer Zeit, in der die Werte Frieden und Demokratie weltweit erneut unter Druck geraten, sind Vereinbarungen wie diese wichtig. Sie erinnern uns daran, wer wir sind und wofür wir stehen. Dies soll heute unsere Botschaft sein, nicht nur an Guernsey und Biberach, sondern an alle, die internationale Freundschaft und Zusammenarbeit wertschätzen. Versöhnung ist möglich“, so der Regierungschef, der abschließend erwähnte: „Ich habe mich noch nie so willkommen gefühlt wie in Biberach.“

Deputy Jonathan Le Tocq, verantwortlich für Guernseys Außenbeziehungen, erklärte nach der Unterzeichnung, dass dies nicht nur für Guernsey und Biberach ein großer Moment sei. Die Vereinbarung sollte angesichts der aktuellen Situation in der Welt Vorbild für alle sein. OB Zeidler sprach von einem der „bewegendsten Momente meiner Amtszeit und meines Lebens“.

Bild vergrößern: Verena Fürgut beim Konzertabend. Bild: © Hans-Bernd Sick
Verena Fürgut beim Konzertabend.


Das Jugendsinfonieorchester beim Liberation-Konzert

Anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung fanden zahlreiche weitere Veranstaltungen statt, an denen die Biberacher Delegation teilnahm. Auch von der Nachbarinsel Sark waren Einwohner im Lager Lindele interniert. Dort wird der Liberation Day einen Tag später gefeiert. Nellie Le Feuvre, die im Alter von 15 Jahren ins Lager kam und vor kurzem ihren 98. Geburtstag feiern konnte, wurde im Beisein eines Teils der Biberacher Delegation von Prinzessin Anne begrüßt. Oberbürgermeister Zeidler gratulierte ihr nachträglich. Beim Liberation-Konzert spielte das Musikschulorchester zusammen mit Musikern und Sängern verschiedener Orchester und Chöre aus Guernsey. In ihrer Ansprache erinnerte Verena Fürgut, Dezernentin für Bildung und Kultur, daran, dass die intensiveren freundschaftlichen Beziehungen unter anderem im Austausch von Musizierenden ihren Anfang genommen haben. Von Bedeutung sei dabei auch, dass sich so vor allem junge Leute getroffen hätten – ein Garant dafür, dass der Gedanke der Freundschaft in die Zukunft getragen und weitergelebt werde.